Donnerstags im Fetten Hecht by Stefan Nink

Donnerstags im Fetten Hecht by Stefan Nink

Autor:Stefan Nink
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2012-12-27T23:00:00+00:00


26

(Ein paar Tage nach der Party. New Orleans.)

»Noch Tee?«

Siebeneisen war völlig in die Zeitung versunken, er hatte nicht gemerkt, dass die Bedienung an seinen Tisch gekommen war. Die Times-Picayune war ein Blatt, dessen Mitarbeiter die Stadt täglich auf der Suche nach kleinen und großen Geschichten zu durchkämmen schienen; es war erstaunlich, wie viel New Orleans man jeden Tag auf 30 oder 40 Seiten unterbringen konnte. Siebeneisen hatte bereits die Meldungen aus dem Büro des Bürgermeisters gelesen, zwei Restaurantkritiken und ein Interview mit einem Schauspieler – der Mann hatte ein »Schwimmendes Haus« entworfen, in dem man eine erneute Überflutung nach einem Wirbelsturm trocken überstehen konnte. Jetzt studierte er die Todesanzeigen, das machte er zu Hause im Tagesboten auch immer. Allerdings lasen die sich dort nicht wie ein Polizeibericht, und es starben dort auch deutlich weniger Menschen an Messerstichen, Schusswunden oder »Verletzungen am Hinterkopf, vermutlich verursacht durch einen Baseballschläger oder einen ähnlichen Gegenstand«. Er blätterte um auf die nächste Seite, auf der ein großes Foto den St. Louis Friedhof bei Nacht zeigte. Es war eine sehr schöne, atmosphärische Aufnahme, deren besinnliche Komposition allerdings durch mehrere helle und dunkle Gestalten gestört wurde, die dem Fotografen offensichtlich durch die Langzeitbelichtung gelaufen waren. Wenn man genau hinsah, konnte man am rechten Bildrand außerdem eine lange Klinge erkennen, die hinter einem der vielen Mausoleen hervorlugte. »Diese Aufnahme gelang unserem Fotografen William Murray-Whilton in dieser Woche«, stand unter dem Foto. »Möglicherweise handelt es sich bei den Schemen um Entitäten. Womit klar wäre: Nicht nur Touristen lieben unser schönes New Orleans und kehren immer wieder gerne hierhin zurück!«

Siebeneisen faltete die Zeitung zusammen. Gegenüber, auf dem Jackson Square vor der Kathedrale, bauten die Wahrsager und Porträtzeichner ihre Tischchen auf. Auch die ersten Musiker waren schon wach; drei farbige Kids mit Posaune, Trompete und einem kleinen Schlagzeug flachsten miteinander und warteten darauf, dass sich der Platz mit Touristen füllte. Frühmorgens war dieses Café du Monde der beste Ort der Stadt, dachte Siebeneisen. Lawn frühstückte lieber in einer Kaschemme namens The Burping Atom, wo früh um sieben mexikanische Tortillas serviert wurden und die gepiercten und tätowierten Bedienungen miteinander knutschten. Siebeneisen hatte bei seinen Besuchen mit Lawn immer den Verdacht, man könne dort möglicherweise Opfer einer Geiselname werden. Das Café du Monde aber mochte er auf Anhieb, schon wegen seines herrlichen Geschäftsmottos: »Geschlossen nur an Weihnachten und bei Hurrikanen«. Und es war ein wunderbarer Platz, um zuzusehen, wie die Stadt allmählich erwachte. Die Musiker auf dem Platz hatten zu spielen begonnen, »Do you know what it means to miss New Orleans?«. Die Ballade lag in der schwülen Luft wie ein Versprechen.

»Hi! Entschuldige die Verspätung! Gott, ist das wieder eine Hitze heute!«

Lawn ließ sich auf einen freien Stuhl und auf den Tisch eine große Tasche fallen, aus der Notizblöcke, Kabel, Kaugummis und eine Sonde herausrutschten. Diese Frau kann wie ein Hurrikan sein, dachte Siebeneisen: Plötzlich ist sie da, und alles wird durcheinandergewirbelt.

»Ein Freund von dir hat angerufen. Hab den Namen nicht verstanden. Klang wie Peitsche. Whip irgendwas. Hat irre schnell geredet, als ob er Telefonkosten sparen wollte.



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